, Giuliano da Empoli Der Magier im Kreml Roman. Aus dem Französischen von Michaela Meßner
C.H.Beck, München, 265 Seiten
Giuliano da Empoli lässt einen so zynischen wie eitlen Strategen höfischer Machtverhältnisse Rückschau halten, wie er „den Tyrannen“ beraten und lenken konnte, und wie er beizeiten erkannte, wann seine Dienste nicht mehr gefragt waren, so dass er einen stillen Austrag im Schatten der Macht erlangen konnte

Der gebannte Magier
Giuliano da Empoli inszeniert einen zynischen Satrapen

Hier erzählt ein Literaturkenner und Historiker von einer Begegnung im Moskau unserer Tage, der „unergründlichen Hauptstadt einer neuen Epoche, deren Konturen niemand zu fassen vermochte“. Es herrscht dieselbe hybride Stimmung, die bereits in Viktor Pelewins Roman Generation P so unangenehm aufgekratzt und doch nur zu realistisch wirkte. Über sich selbst sagt Giuliano da Empolis Ich-Erzähler so gut wie gar nichts. Er sei zu Forschungszwecken aus Westeuropa angereist. Vielmehr berichtet er von der Begegnung mit einem gewissen Wadim Baranow, der fünfzehn Jahre lang Propagandaberater „des Zaren“, also Putins gewesen sei, wie er ihn meistens nennt, und der entscheidend zum Aufbau von Putins Machtapparat beigetragen habe. Ob das Vorbild für Baranow der Geschäftsmann Wladislaw Surkow ist, kann nur vermutet werden. Dieser bezeichnet sich angeblich selbst als Schöpfer des Putinismus und galt zuweilen als Oberideologe des Kreml. Als alles das präsentiert sich da Empolis Figur Baranow, der hier am Kamin einer Bar eine Art Selbstrechtfertigung ablegt, und dabei darauf achtet, dass seine Qualitäten nicht übersehen werden. Ein Taktiker, der zuschaut, wie subalterne Paladine im Kreml Einfluss erlangen und abrupt oder allmählich wieder in den Hintergrund geraten. Und der sich, wie schon der Genosse Tulajew in Viktor Serges berühmtem Roman Die große Ernüchterung aus dem Jahr 1948, bewusst ist, dass alle Macht und aller Reichtum in diesem Land stets abhängen von der unmittelbaren Gnade des Herrschers.

Was Baranow erzählt, ist der Aspekt aus dem Seelenleben Putins, der sich auf seine Politik auswirkt. Natürlich überlegen schon lange viele Menschen, wie es in Putins Seele aussehen mag. Niemand weiß es, allenfalls können seine Trabanten berichten, was sie beobachtet haben, also das Verhalten deuten anhand konkreter Situationen. Wie zum Beispiel gekränkter Nationalstolz zum Kriegsmotiv werden kann.

Baranow berichtet als einem Beispiel von Boris Beresowski, der in den unübersichtlichen Jahren nach der Sowjetunion als Jelzins Berater und als geschickter Teilnehmer an der Jagd nach den größten Brocken vom Eigentum des zerfallenden Staatswesens großen Einfluss gewann und letztlich für Putins politischen Aufstieg sorgte. Baranow erlebte ihn als abgehalfterten Oligarchen, der sich selbst überschätzt hatte und der schließlich in seinem Londoner Exil an seinem Lieblingsseidenschal aufgehängt gefunden wurde, berichtet Baranow. Er selbst habe bemerkt, was Beresowskis Fehler gewesen seien, er habe diese Fehler vermieden und auf diese Weise sogar überleben können. Denn das Leben der Schranzen des Kreml ist, so schildert er es, unsicher wie das einer Fliege im Salon.

Es ist sicherlich verdienstvoll, ein Psychogramm des Herrschers im Kreml abzuliefern, um die Ratlosigkeit zu untermauern, mit der die Welt vor dem so brutalen wie törichten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine steht. Zugleich ist es wie ein Einblick in die Welt der Gangs und der Patriarchen. Sicherlich ein guter Ausgangsstoff für einen Roman, in dessen Zentrum ein sprunghafter, launischer und spontan gewalttätiger Patriarch steht. Nur, dass die Handlung hier auf einer anderen Emotionalitätsebene spielt: Eigene Gewaltausübung als Ventil unkontrollierter Erregung kommt hier nicht vor. Es ist ein kalter Patriarch, eine Spinne in ihrem Netz, die Tode veranlasst und Aufstiege toleriert, solange sie nicht die eigene Machtsphäre beeinträchtigen können.

Da Empoli, unter anderem Professor am Pariser Institut für politische Studien Sciences Po, lässt die Ausführungen Baranows und Beresowskis hinauslaufen auf den Krieg in der Ukraine. Dabei wären doch noch mehr Aspekte aus Putins Wirken interessant: Was in Tschetschenien los war, die unter ihm veranlassten Untaten in Syrien, der Gasangriff auf Geiseln und Geiselnehmer im Moskauer Dubrowka-Theater 2002, die Agentenmorde in England, Berlin und sonst wo. Vor allem aber, dass er dort, wo das Leben schöner ist als bei ihm, wo Freiheit herrscht und Rechtsstaatlichkeit, Unruhe stiften will, Chaos, um nicht erkennen zu lassen, was für einem failed state er vorsteht. Ob er einen Putsch in Mali fördert oder ein zynisches Spiel mit Flüchtlingen treibt, die er nach Belarus karren lässt, um sie dort über die Grenze der EU zu schicken - alles, was interne Kontroversen in den Staaten schafft, deren alleinige Existenz er als Anfechtung aufzufassen scheint, sei ihm willkommen, lässt da Empoli den Ex-Präsidentenberater erzählen.

R.v.Bitter

ISBN 978 3 406 79993 8

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