, Eugen Ruge In Zeiten des abnehmenden Lichts Roman
Rowohlt Verlag

Ein Sohn räumt auf, könnte man den Anfang dieses Romans überschreiben, aber dann entfaltet sich eine differenzierte und komplexe, spannende und mit liebevoller Anteilnahme verfasste Familiengeschichte aus der untergehenden DDR.

Alexander heißt er, der zu Beginn seinem senilen Vater das Geld wegnimmt, die pornographischen Hefte wegtut und die Dias ins Feuer wirft, die seine Mutter nackt zeigen. Am Ende des Buchs sitzt Alexander in einem Gästehaus in Mexiko und denkt an seine Freundin, die er zuhaus zurückgelassen hat. Doch was dazwischen liegt, geht mehr als nur eine Generation an. Was dies Buch so unbedingt lesenswert macht, ist die Verbindung unterschiedlicher Geschichten, die es so in Westdeutschland nie hätte geben können, auch wenn die Struktur auch im Westen möglich gewesen wäre: konservative, dem politischen Establishment verpflichtete Eltern; ein Familienvater, der seine Frau im Ausland, genauer: in dem Land kennengelernt hat, das zuhause politisches Vorbild ist, Weihnachten als Brennpunkt der Familienkonflikte und ein Sohn, der sich auf und davon macht, weil er nicht mehr mitmachen will.

Die wichtigen Personen der Handlung sind die Männer aus vier Generationen einer Familie: Wilhelm, ein alter Parteimann der KPD, der sich den Gestus eines aufgestiegenen Grandseigneurs angeeignet hat, den ihm aber nur devote Parteileute und sonst niemand abkaufen mag, weil alle wissen, dass er schwach ist und auch mal Leute an die Stasi liefert. Kurt, sein Sohn, der spät eine wissenschaftliche Karriere macht, der aus schmerzlicher Erfahrung ängstlich, aber dabei weise ist. Schließlich sein Sohn Alexander und dessen Sohn Markus, der sich als unbehüteter Junge der Fährnisse von Computersucht, neonazistischem Rüpelwesen (da hat er Freunde) und der neuen Kälte der Treuhand-DDR zu erwehren hat, nachdem seine Familie von DDR-Bonzen ihre Privilegien verloren hat.

Die interessanteren Figuren dieses Romans sind aber die Frauen, Charlotte und Irina. Hier offenbart sich jene Art von überlegenem Humor, der schon immer der Schutz der Frauen vor männlichem Machtgehabe gewesen ist. Charlotte ist mit Wilhelm nach Mexiko ins Exil gegangen. Sie kommen nach dem Krieg wieder zurück und werden sofort Angehörige der DDR-Nomenklatura. Ihr Sohn Kurt wird in Russland wegen einer Lappalie zu Haft und Verbannung verdonnert Als „ewig Verbannter“ lernt er Irina kennen, selbst Opfer des stalinistischen Totalitarismus, die ihn heiratet, die mit ihm schließlich nach Berlin zieht, und die dort niemals richtig deutsch lernen wird. Sie hat am besten erkannt, was nicht mehr stimmt am „real existierenden Sozialismus“, wie brüchig die Prinzipien ihres bisherigen Lebens geworden sind, und klinkt sich mit der Hilfe von Alkohol aus der Welt ihrer Familie aus.

In einzelnen, über die Jahre springenden Kapiteln erzählt uns Ruge diesen Familienroman. Im Mittelpunkt seiner Konstruktion steht das Geburtstagsfest Wilhelms am 1. Oktober 1989, der Kulminationspunkt der familieninternen Fehden und Konflikte ist aber immer wieder das Weihnachtsfest – wie es auch schon bei einem vergleichbaren Familienroman, bei Jonathan Franzens „Korrekturen“ war. Auch bei den offiziell eisernen Atheisten der DDR wird Weihnachten gefeiert. Hier stoßen die Familienmitglieder in ihren jeweiligen Stadien mit Vehemenz aufeinander. Hier entzünden sich Konflikte, hier werden die Dinge beim Namen genannt – oder verdrängt. Ruge behält immer Sympathie für seine Figuren, er lässt sie selbst ausführen, was sie denken, und wir Leser können unseren Reim darauf machen. Dabei erzählt Ruge uns das auf eine Art, die Vergnügen macht und Spannung erzeugt, so dass man dies Buch nur ungern aus der Hand legt.

ISBN 978-3-644-01411-4
http://www.rowohlt.de/buch/Eugen_Ruge_In_Zeiten_des_abnehmenden_Lichts.2954547.html