, Sybille Bedford Jagd auf einen Lebemann. Der Prozess Dr. Ward. Eine Gerichtsreportage. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork, mit einem Nachwort von Gina Thomas
Verlag Schirmer Mosel

Eine große Erzählerin berichtet von einem Prozess im Zusammenhang der britischen Staatsaffäre um John Profumo, damals Kriegsminister, und das Callgirl Christine Keeler. Sybille Bedford hat ihre eigene Geschichte unter dem Titel „Ein Vermächtnis“ geschildert hat und darin einen Aspekt der europäischen Geschichte beleuchtet, der heute weitgehend unbekannt ist. Zugleich war das ein hinreißendes Buch. Die Weltläufigkeit, der weite Horizont der Autorin ist ein wichtiges Element dieser Reportage, die jetzt erschienen ist. In dem Prozess ging es gegen den Arzt Dr. Ward, der sich als Lebemann einen Namen gemacht hatte und der sich mit allerlei halbseidenen Gestalten umgab. Spionage, Sex, Drogen und Intrigen mit Politik sind die Zutaten, die im Sommer 1963 aus einer Anklage wegen Zuhälterei eine Gerichtssensation machten.

Die Bedford schildert die Frauen, die in diesem Prozess auftreten, nicht aus der Perspektive der Sensationsjournalisten, sondern mit einer gewissen abgeklärten Distanz, die es ihr ermöglicht, z. B. von Christine Keeler zu schreiben, sie strahle „nichts Lebendiges aus, als wäre der Sex Fertigsex, Tiefkühlsex, zur Schau gestellt wie die Obstschale auf dem Farbphoto. Der Zeugenstand ist kein gemütlicher Ort, und er bringt persönliche Qualitäten nur selten zum Vorschein, aber ich glaube nicht, dass er etwas hervorbringt, was nicht schon vorhanden ist. Dieses Mädchen offenbarte eine Leblosigkeit, eine Ausdruckslosigkeit, eine grundsätzliche Unzugänglichkeit, wie man sie nur mit größter Armut assoziiert. In Verbindung mit dieser gepflegten, nahezu perfekten Erscheinung was das ausgesprochen irritierend.“ In dem schmalen Bericht macht Sybille Bedford deutlich, dass weniger über rechtliche Verfehlungen gerichtet wurde, sondern dass hier die britische Oberschicht Gerichtstag hielt über Möchtegernaufsteiger und ambitionierte Unterschichtler, dass die Heuchelei der Oberen zu moralisch motivierten Verurteilungen führte, die durch nichts gerechtfertigt waren. Es ist auch heute noch regelrecht spannend, die Zeugenaussagen von damals zu lesen. Aber es ist nicht nur sein Thema, es ist vor allem die kühle und reife Art der Autorin, die diese Geschichte spannend macht.

Gina Thomas, die englische Feuilleton-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen, steuert mit ihrem Nachwort noch einiges an Hintergrundwissen bei, so dass man die Zusammenhänge besser erkennt. So ist dies Buch ein echter Gewinn seiner Leser.

ISBN 3-8296-0543-9
http://schirmer-mosel.de/homed1/pdf/PM_Bedford_Ward.pdf