, Friedrich Dönhoff Ein gutes Leben ist die beste Antwort. Die Geschichte des Jerry Rosenstein diogenes

Friedrich Dönhoff schreibt Kriminalromane und Biografien. Jetzt hat er die Lebensgeschichte von Jerry Rosenstein erzählt, der in seiner Jugend wegen seiner jüdischen Wurzeln von den Nazis verfolgt wurde und nur durch Glück und Intuition das KZ überlebte.
Ursprünglich sollte das Buch „Ein gutes Leben ist die beste Rache“ heißen. Aus „Rache“ wurde dann aber „Antwort“.

Wie ist es zu dieser Änderung des Titels gekommen, die doch viel aussagt über die Haltung gegenüber den früheren Verfolgern? War das dem Verlag zu krass?

Es war ein Zufall, dass Friedrich Dönhoff an Jerry Rosenstein gekommen ist. Aber dann ging es schnell. Rosenstein hatte lange nichts erzählen mögen von seiner Jugend und von seinem früheren Leben. Friedrich Dönhoff gewann sein Vertrauen und erzählt in „Ein gutes Leben ist die beste Antwort“ die Geschichte einer Erkundung der Vergangenheit: „Die Geschichte des Jerry Rosenstein“.
In der Schule hatte es damit angefangen, dass die Freunde sich abwandten, weil Jerry, damals noch Gerald, als jüdisch diskriminiert wurde. Die Eltern wichen aus nach Amsterdam, wurden aber schließlich dort gefasst und in unterschiedliche KZs deportiert. Wie durch ein Wunder fand Gerald seine Eltern nach 1945 wieder. Sie zogen nach Amerika und wollten nichts mehr hören von dem, was sie hatten durchmachen müssen.
Friedrich Dönhoff hat mit Jerry Rosenstein die Orte jenes verdrängten Lebens aufgesucht: Bensheim, Amsterdam, Theresienstadt, Auschwitz, Paris.
Rosenstein erzählt von seiner Kindheit unter Bedrohung und vom Aufkommen der Angst, von den Momenten, wo eine falsche Einschätzung der Lage den Tod bedeuten konnte, von Verlusten und Befreiung. Dönhoff verknüpft seine eigenen Eindrücke von der Reise und von Jerrys Reaktionen, wenn sie z. B. das Amsterdamer Haus betreten dürfen, in dem Gerald als Junge gewohnt hatte.

Friedrich Dönhoff hat die Geschichte seiner Recherche und die Überlebensgeschichte von Jerry Rosenstein alternierend angeordnet, in einer Art Reißverschluss-Muster. Am Ende erreicht Jerrys Biographie die Anfänge der Recherche-Story, und der Kreis schließt sich.
Jerry berichtet von seinem Leben chronologisch, Dönhoff skizziert seine Recherche in Sprüngen, die als Verbindungsstücke für Jerrys Fragmente dienen, die aber inhaltlich so arrangiert sind, dass das Buch Zug und Tempo bekommt.

Wie sind Sie an die Gliederung von Jerrys Geschichte herangegangen – erstmal sitzt man da doch vor einem Wust an Materialien?

Jerry Rosenstein sagt im Rückblick, dass es nicht eine individuelle Leistung gewesen sei, Auschwitz zu überleben. Vielmehr „braucht man zu 98 Prozent Glück. Die restlichen zwei Prozent sind eine Sache des Instinkts. Jeder Fehler kann tödlich sein.“

Jerry, damals Gerald, war ein seelisch gefestigter Junge, der sich nicht kleinkriegen lassen wollte. Erst waren es die Diskriminierung, die Verfolgung und die Hölle des Lagers, die ihm zusetzten, später, als er bereits in Sicherheit in New York, aber noch bei den Eltern lebte, war es die allgemeine Verständnislosigkeit für seine Homosexualität. Vielleicht hat ihm zunächst geholfen, dass niemand mehr von den Schrecknissen sprechen wollte. Später hat er therapeutische Hilfe gehabt, um zu begreifen, was er durchlebt hatte. Geblieben ist ihm ein gewisser, sympathischer Galgenhumor, der ihm geholfen hat, zum Beispiel, als er dem deutschen Soldat von damals begegnet, der ihn nicht erschossen hat und der ihm jetzt auf einem Schiff begegnet.

Wie muss einer beschaffen sein, um das alles gesund und irgendwie normal und humorvoll zu überstehen? Hat Jerry etwas Besonderes an sich?

Nach der Befreiung zieht Gerald/Jerry mit seinem Vater und einigen anderen ziellos durch die Lande. Sie besetzen und bewohnen fremde Häuser, wo sie sich einrichten. Als Gerald einmal, statt das Geschirr abzuwaschen, die Teller kurzerhand zum Fenster hinauswirft, wird sein Vater außerordentlich wütend.

Ist solch ein Achten auf Zivilisiertheit auch ein Mittel, die Traumata zu überstehen, seelisch zu überleben?

Friedrich Dönhoff hat nicht eine strenge Biographie, sondern eine besondere Art von Reisebeschreibung in ferne Zeiten von Angst und Verfolgung daraus gemacht, in deren Verlauf wir Jerry Rosenstein als liebenswürdigen Mann kennenlernen, der sich endlich soweit hat befreien können, dass er offen über alles spricht, was er erleben musste. Sein Fazit ist abgeklärt und moralisch überlegen: Ein gutes Leben ist die beste Antwort.

Dönhoff stellt seine eigene Position gegenüber dem Schicksal Jerry Rosensteins klar: Nicht alle Deutschen waren NS-Täter, aber der Komplex der Judenverfolgung und –ermordung gehört zur deutschen Identität. Wie reagieren wir darauf, wenn uns ein solches Schicksal erzählt wird, was ist unser Part in diesem Leben nach dem Überleben? Jerry Rosensteins Humor klingt immer wieder durch, und Dönhoff gibt seinem Bericht das Tempo, das so eine Erkundung braucht. Dadurch wird es fesselnd und spannend, mitzuerleben, wie ein lange verdrängter Lebensabschnitt endlich erkundet wird.

978-3-257-06902-0

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