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Florian Havemann
Bankrott
Roman
Freunde&Friends, Berlin, 653 Seiten
Bei Florian Havemann steht ein Erzähler im Vordergrund, der für seine Geschichte, obwohl er sie als wahr und tatsächlich geschehen darstellt, erst abwägt, wie er seine Figuren daherkommen lassen will

Wie ein Baulöwe zur Maus werden sollte

Florian Havemann stellt einen Erzähler in den Vordergrund, der gestalten will, was sich tatsächlich ereignet hat

Im Einführungsselbstgespräch der Verlags-Website nennt Havemann sein mächtiges Buch einen Gegenwartsroman, „wenn auch ein Bisschen weiter aufgefasst“. Im Zentrum stehen zwei Figuren und ein sich als Autor definierender Erzähler. Einerseits ist es Taff, ein Mann, der in der BRD aufgewachsen und äußerlich bemerkenswert hässlich sei. Zum anderen ist es der Ich-Erzähler, ein alter Kumpel, ein Schulkamerad von Taff, der ihn bestens kennt und seine Geheimnisse und Herkunft durchscheinen lassen kann, und der von den ersten Seiten an sein eigenes Handeln schildert. Er werde Taff anrufen, erläutert er, da werde er sich „von ihm wieder mal beschimpfen lassen, denn ohne das geht's ja bei ihm nicht. Jedenfalls, wenn ich mich melde.“

Einerseits ist der Ich-Erzähler am Geschehen beteiligt, andererseits bezeichnet er sich als „Voyeur anderer Leute Leben“. Vielleicht hat ihn der Erzähler/Autor seinem Helden Taff gegenübergestellt, um seiner Leserschaft, aber wohl auch um dem Fortschreiten seiner Romanhandlung etwas auf die Sprünge zu helfen. Zu einem besonderen Menschen, wird berichtet, mache Taff „seine Rücksichtslosigkeit und Härte, seine Entschlossenheit und Vitalität, sein Egoismus… seine Führungsqualität … Mit hinzu kommen, von mir stärker noch herausgestellt werden, sollte seine Suggestionskraft, seine aus ihr entspringende Fähigkeit, andere zu manipulieren.“

Zunächst erscheint es wie eine Allerweltsromanhandlung: Taff ist bei einem Ausflug in den von den Westdeutschen neu erschlossenen deutschen Osten, noch Ex-DDR, auf ein verlassenes Fabrikgebäude gestoßen, das ihn so beeindruckt, dass er beschließt, eine Baufirma zu gründen. Sicherlich hatte das damals einen goldenen Boden, und Taff gelingt es, sich eine Existenz als Immobilienmensch aufzubauen mit Erfolg, Reichtum und allerhand Zutaten westdeutschen Neureichtums im treuhandgelenkten Osten. Doch dann, inmitten des Erfolgs, trifft ihn wie ein Blitz ein Steuerbescheid. Er soll eine Summe bezahlen, die er nicht aufbieten kann. Später stellt sich das als Irrtum heraus und Taff macht in seinem Leben weiter wie bisher. Nur der arme Beamte, der einen Fehler gemacht hatte, bleibt auf der Strecke.

Als Dritter steht im Zentrum des Textes sein Erzähler/Autor, der uns teilhaben lässt an der Konstruktion seiner Figur, indem er sich selbst fragt und alle, die das lesen, an der Frage teilhaben lässt: Wie könnte Taff beschaffen sein, was macht die beiden Hauptfiguren so besonders. Er glaube nicht, dass Taff viel von seiner Vergangenheit erzählt, „und in meinem Roman sollte es nicht Taff selber sein, der von sich aus diesen Schleier lüftet.“ Es ist ein unablässiger Gedankenfluss mit immer wieder neuen Einschüben und Gedankensprüngen, die als Kapitel abgesetzt sind. Es erinnert einerseits an Marguerite Duras' Konzepterzählungen, andererseits an Jörg Schröders Cosmic von 1982. Schröder richtete allerdings seinen Gedankenfluss an jemanden, an ein Gegenüber, explizit mit der Absicht, etwas auszusagen, während hier ein stiller Autor seinen Gedankengängen folgt und seine Leserschaft, die er nach und nach einstimmt, auf seinen anhaltenden Erzählausflug mitnimmt. Doch so richtig friedlich, wie es scheinen mag, wird es nicht, angefangen mit den Selbstzweifeln, ob er sich nicht „als Autor übernommen, überschätzt habe“ bis hin zu Anflügen von Emotionalität, wenn es ins Kabarettistische, auch mal Skabröse, überschwappt.

Man muss sich einlassen auf diesen Monolog. Vermutlich fließt neben den bekannten historischen Fakten und DDR-Mentalitätsbrocken vieles aus den persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen des Autors ein, der in der DDR bereits als 16-Jähriger aus politischen Gründen (er hatte 1968, u.a. mit Thomas Brasch, gegen die Annexion der CSSR demonstriert) eingesperrt wurde und der als 19-Jähriger in den Westen flüchtete, was ihm persönliche Häme von Wolf Biermann einbrachte - der Sohn des wohl prominentesten DDR-Regime-Kritikers Robert Havemann stand mehr als andere im Rampenlicht. So wäre Bankrott mehr als bloß ein wie auch immer realistischer Roman oder ein charismatischer Gedankenstrom. Es ist eine eigene Welt, die sich hier eröffnet. Eintritt nach Gusto.

R.v.Bitter

ISBN 978-3-00-072487-9

https://freundeundfriends.de/buecher/bankrott