Verlag Schöffling &Co
Bis heute ist sie eine Autorin von Weltrang, nicht zuletzt wegen „Nahe dem wilden Herzen“. Der Titel stammt aus dem Motto, einer Zeile aus dem „Porträt des Künstlers als junger Mann“ von James Joyce: „Er war allein. Er war verlassen, glücklich, nahe dem wilden Herzen des Lebens“, womit die Erzählhaltung einer radikalen Subjektivität genauso umrissen ist wie das Thema: Die Sucht und die Suche nach reinem Leben, nach echter Freiheit, die auch im Tod liegen kann. Joana lebt komfortabel in einem eigenen Haus, ihr Mann Otávio ist offenbar Jurist, arbeitet zum Teil daheim und hat ihr, wie es die Gesellschaft will, die Rolle der braven Ehegattin und Hausfrau zugedacht. Doch sie tickt anders. Sie zerrt an den Fesseln ihrer Existenz, sie ist von exzentrischer Überempfindlichkeit und reagiert sich ab in eigenartigen Gedankengängen und in impulsiv verübten Gewaltgesten, die sie sogleich auf unverfroren-überlegene Art verharmlost, so dass sie den Menschen ihrer Umwelt tatsächlich befremdlich wird in ihrer Unberechenbarkeit. Damit eröffnet sie uns eine Seelenwelt und ein Temperament, wie es im normalen Verhalten unserer bürgerlichen Gesellschaft, wenn es überhaupt existiert, unterdrückt wird: spontan eigenwillig, intellektuell überlegen und offensiv, dabei mit der Weite eines gewissen Humors, den oft nur solche Leute aufbringen, die zuvor mit den Schattenseiten in Berührung gekommen sind. Wer das Buch liest, erlebt einen Menschen, der seine Unzugänglichkeit paradox ganz nah zeigt.
ISBN 978-3-89561-620-4
https://www.schoeffling.de/buecher/clarice-lispector/nahe-dem-wilden-herzen