, Aleksander Hemon Lazarus Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein
Knaus

Ein übler Übergriff der Chicagoer Polizei vor hundert Jahren, ein junger Bosnier als Kriegsflüchtling in den USA und die Suche nach den vergessenen Opfern antijüdischer Pogrome in Mitteleuropa – daraus hat Aleksandar Hemon einen Tatsachenroman, zugleich den Bericht einer irritierenden Suche gemacht.

Zwei unterschiedliche Handlungsstränge führen uns in das Amerika von 1908, ins postkommunistische Mitteleuropa und schließlich ins heutige Sarajewo. Ein junger jüdischer Einwanderer, Lazarus Averbuch, der aus Osteuropa vor dem Antisemitismus geflüchtet ist, nachdem er knapp ein Pogrom in Kischinjow, dem heutigen Kischinau in Moldavien, überlebt hat. In Chicago überlebt er als Arbeiter, und als er eines Tages beim Polizeichef vorstellig werden will, erschießt ihn dieser aus dümmlicher Panik.

Um den Vorgang zu vertuschen, wird Lazarus nachträglich als anarchistischer Attentäter hingestellt, was eine penible Verfolgungsaktion unter den Freunden des Immigranten zur Folge hat. Die wahre Heldin dieser Episode ist Olga, die Schwester des Erschossenen, die die Repression und Niedertracht der Polizei zu ertragen hat.

Fast 100 Jahre später bricht Vladimir Brik, ein bosnisch-amerikanischer Schriftsteller, der soeben ein Stipendium bekommen hat, auf, um die Wahrheit nicht nur jenes angeblichen Attentatsversuchs herauszufinden, sondern vor allem, um die Lebensumstände der Juden im damaligen Ost-Mittel-Europa zu erkunden. Begleitet wird er dabei von seinem Freund Rora, einem ehemaligen Mitschüler, der in Bosnien geblieben war und nun als Fotograf arbeitet. Das hat mit dem Autor zu tun: Aleksandar Hemon kam 1964 in Sarajewo zur Welt und zog 1992 in die USA, also bevor der Krieg in seiner Heimat ausbrach.

In diese Geschichte spielt der Jugoslawien-Konflikt hinein, die Umwälzungen Europas nach der Implosion des sowjetischen Empires, die Gewalttätigkeit und die Vorurteile in der amerikanischen Gesellschaft und die Tragik derer, die die Pogrome in Europa überlebt haben. Hemon macht daraus eine Art Dokumentar-Roman, das Gerüst und einige Umstände der Handlung sind historisch, Hemons Figuren und ihre Gefühle und Motive, sowohl die der Zeit von Lazarus wie auch die aus unserer Zeit, sind natürlich erfunden. Was dies Buch spannend macht, sind zunächst die abenteuerliche Geschichte eines vertuschten Polizei-Skandals und die zaghaften Überlebensversuche osteuropäischer Einwanderer, vor allem ist es aber der heutige Blickwinkel, die Perspektive aus der späteren Zeit auf Ereignisse, die erst durch ihre literarische Verarbeitung Raum und Emotion erhalten. Es ist die Erkundung der Vergangenheit dieser vergessenen Region zwischen Rumänien und Odessa, die ans kriminalistische grenzende Recherche, das Entdecken unerwarteter Zusammenhänge, die nicht einfach nur erzählt werden, sondern durch die Diskussionen der beiden jungen Bosnier neue Aspekte erhalten.

ISBN 3-8135-0329-1
http://www.randomhouse.de/book/edition.jsp?edi=270222