, Evelyn Waugh Wiedersehen mit Brideshead aus dem Englischen übersetzt von Pociao
diogenes Verlag

Ein paar von Evelyn Waughs Romanen sind schon dreimal übersetzt worden, und wie es sich erweist, lohnt sich die Mühe um diesen Schriftsteller, dessen Sprache erlesen und dessen Humor zuweilen makaber ist. Am bekanntesten geworden ist sein Roman "Wiedersehen mit Brideshead" dank einer Verfilmung – dank des Versuchs einer Verfilmung. An die Vorlage kommt der Film nicht heran, schon gar nicht in deutscher Synchronisation. Jetzt ist der Roman wiederum neu übersetzt worden, und diese Neuübersetzung ist rundum gelungen.

Evelyn Waugh beschreibt in "Wiedersehen mit Brideshead" eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Es ist das England des beginnenden 20. Jahrhunderts, als spleenige Snobs noch spleenig sein konnten und dabei ihre Mitmenschen durch Originalität, Witz und erlesene Bildung faszinierten oder, gelegentlich, vor den Kopf stießen. In seiner Vorrede von 1959 schreibt Waugh, er habe dies Buch aus dem Jahr 1945 geschrieben in einer niedergedrückten Stimmung, in der er den Untergang eines Teils der englischen Kultur geahnt habe, z. B. Oxford: „heute versunken und ausgelöscht, unwiederbringlich verloren wie das mythische Lyonesse in den reißenden Fluten, Oxford war zu der Zeit noch eine Aquatinta-Stadt“, die Bäume, Häuser und Straßen „atmeten den leisen Hauch der Jugend von Jahrhunderten.“ In seiner Schilderung des Lebens einer Gutsherrenfamilie habe er etwas davon aufbewahren wollen. Es beginnt mit dem Zufall, dass der Erzähler, Charles Ryder, als Captain während des Zweiten Weltkriegs mit seiner Kompanie genau dort einquartiert wird, wo er viele prägende Momente seiner Zeit als junger Mann erlebte. Es ist Brideshead, ein großes Gebäude und Anwesen mit einer langen Geschichte, dessen Besitzerfamilie dank ihres Reichtums tun und lassen konnte, was beliebte. Auch dieser Prolog ist noch erfüllt von der Tristesse eines Gefühls von Niedergang. Aber nach diesem leicht melancholischen Anfang überschreibt er das erste Kapitel: „Et in Arcadia ego“, was so viel heißen möchte wie: Auch ich war hier dabei, als es jene vergangene schöne Welt an diesem Ort noch gab, und durfte teilnehmen an dieser besonderen Art zu leben. Tatsächlich wird uns eine Lebensart vor Augen geführt, wie sie heute wohl kaum noch existiert: Die einen haben zwar Geld, aber weder Bildung noch Stil, die anderen haben vielleicht Bildung und Stil, aber nicht den für diesen Stil erforderlichen Reichtum.

Als Student in Oxford hat Charles Ryder einen der Söhne dieser Familie kennengelernt, Sebastian Flyte, der mit seinem verschrobenen, etwas gestelzten, immer aufs Ästhetische ausgerichteten Habitus so manchen befremdet. Nach einer Sauftour hat Sebastian durch das sommerlich geöffnete Fenster einer Erdgeschoss-Wohnung gekotzt, in das Zimmer von Charles. Über den Entschuldigungen am Tag darauf, alles und immer in Begleitung von Personal, entdeckt Sebastian an Charles Ryder eine besondere menschliche Qualität: Er findet ihn angenehm und wird seinerseits für Charles zu einem prägenden Freund.

Auftakt der eigentlichen Romanhandlung ist die Regattawoche, diesmal mit ungewöhnlich starker Anteilnahme von Frauen, deren auffällige Gegenwart das stille Leben der beschaulich dahindämmernden Stadt vollkommen aufmischt. Der Erzähler, bevor er sich darauf einstellen kann, wird von Sebastian aufgefordert, mit ihm lieber die Flucht zu ergreifen, in einem extravaganten Auto, mit einem Körbchen Erdbeeren und einer Flasche Château Peyraguey: „Das ist ein Wein, den du noch nie probiert hast, also tu gar nicht erst so als ob. Er schmeckt himmlisch mit Erdbeeren.“ Zwischen Charles und Sebastian sitzt Aloysius, Sebastians Teddybär: „Gib acht, dass ihm nicht übel wird.“ Irgendwo machen sie Halt für ihr Picknick, es ist eine Atmosphäre wie in einem Traum von landschaftlicher Anmut und heiterster, leichtester Gestimmtheit: „Genau die richtige Stelle, um einen Topf voller Gold zu verstecken“, sagte Sebastian. „Ich würde gern überall, wo ich glücklich war, etwas Kostbares vergraben. Dann kann ich später, wenn ich hässlich, alt und trübsinnig bin, zurückkommen, es ausgraben und mich daran erinnern.“ Und genau so etwas Kostbares ist dieses Buch, nicht nur für den Erzähler, der diese Geschichte verewigt: Es wird vor uns ein Schatz ausgebreitet von Menschen, die nur zu einer bestimmten Zeit haben existieren können, einer Zeit, die beim Abfassen dieses Romans bereits vorüber war. Ein letzter Ausläufer der feudalen, erlesenen, feinsinnigen, snobbischen und kultivierten Salonwelt, deren Grundlagen mit dem I. Weltkrieg zu Bruch gegangen waren. Sebastian wird für Charles der Mensch, dessen Qualitäten, dessen Reichtum und Herkunft er nie haben kann, dem er auch niemals wird nacheifern können, weil die genannten Umstände und alle weiteren Umstände es nicht zulassen, den er auch noch nicht einmal bewundern muss, den er zunächst allerdings bestaunt, und in dem er einen Maßstab findet, an dem er alles, was in seinem Leben noch kommt, messen wird. Sebastian ist in Oxford der auffälligste seines Jahrgangs, ein extravaganter Ästhet, Mittelpunkt seiner eigenen Welt, umgeben von einigen bewundernden und dienerischen Trabanten, die er aber gar nicht mal als solche wahrnimmt. „Wen vermag schon ein Schmetterling oder eine Blume ebenso zu entzücken wie eine Kathedrale oder ein Bild? - Mich.“

Der erste Besuch bei Sebastian öffnet den Blick auf eine Ansammlung exzentrischer Menschen, die sich selbst völlig normal vorkommen. „Ich glaube, die meisten Leute finden uns sonderbar“, sagt ihm Sebastians älterer Bruder, der das Anwesen erben wird und darum jetzt schon mit Brideshead oder Bridey angeredet wird. „In dieser Nacht ging mir auf, wie wenig ich eigentlich von Sebastian wusste, und ich begriff, warum er immer versucht hatte, mich vom Rest seines Lebens fernzuhalten. Er war wie ein Freund, den man an Bord eines Schiffes kennenlernt, auf hoher See. Jetzt hatten wir seinen Heimathafen erreicht.“ Charles entdeckt eine ihm bisher verborgene Lebensauffassung, er erlebt die merkwürdigsten Abenteuer und er beschreibt uns das alles im Zusammenhang mit dem normalen Verlauf der Geschichte, Nachkrieg, Erosion der gesellschaftlichen Werte der Vorkriegszeit, Demokratisierung und Abbau ererbter Feudal- und Standesrechte, so dass sich uns eine ferne, unreale Welt erschließt. Nach und nach verfliegt natürlich das Jugendliche und erlesen Naive an Sebastian, er endet weit im Abseits, Charles wird ein eher unansehnliches Eheleben führen und schließlich zu Julia, Sebastians Schwester, finden. Da ist der Glanz verflossener Zeiten verblasst, aber wir lesen auch dann noch mit Begeisterung und gespannt weiter, weil nach dem fröhlichen und amüsanten Beginn immer deutlicher wird, wie modern, wie vorausschauend Evelyn Waugh das Leben beschrieben hat, wie feinsinnig er zarteste seelische Regungen und Beweggründe beobachtet und wie großartig er sie formuliert hat.

ISBN 978-3-257-06876-4

http://www.diogenes.de/leser/katalog/nach_autoren/a-z/w/9783257068764/buch