, Antonio Muñoz Molina Die Nacht der Erinnerungen Roman
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
DVA

„Die Nacht der Erinnerungen“ ist der deutsche Titel für Antonio Muñoz Molinas großen Roman, der wörtlich übersetzt „die Nacht der Zeiten“ hieße und damit auch die Dunkelheit des Vergessens meint, das Verschwinden der Ereignisse im Dunkel der Zeiten. Dabei tritt das Historische zurück hinter die Liebesgeschichte, die er uns erzählt und die sich so oder ähnlich zugetragen haben könnte in der Zeit des spanischen Bürgerkriegs.

Was ist es denn mehr – eine Lovestory oder ein historischer Roman?

Im Mittelpunkt steht Ignacio Abel, ein junger erfolgreicher Architekt, der beim Aufbau der neuen Universitätsstadt von Madrid mitwirkt. Er ist inspiriert von den Ideen des Bauhaus, an dem er eine Zeit lang hat studieren dürfen. Ignacio hat bei einem Vortrag, den er über sein Fach gehalten hat, im Publikum eine Amerikanerin entdeckt. Beide verlieben sich, und Ignacio empfindet die Bindung an seine Frau Adela und an die beiden kleinen Kinder als Belastung, als Ablenkung von der – so empfindet er es – wahren Liebe zu Judith, die nur ein Zufall nach Spanien geführt hat. Ihre Eltern sind russische Emigranten in New York, sie sieht und erlebt die Welt ganz anders als Ignacio, der in ihr etwas zu entdecken glaubt, was ihm bis dahin unbekannt war. Auch Antonio Muñoz Molina ist fasziniert von Frauen wie Judith. Das sei ein bestimmter Typ von Frauen, zumeist Amerikanerinnen, die nach Spanien kamen, um in den Internationalen Brigaden gegen Franco zu kämpfen. Oft seien es Einwanderer der zweiten Generation gewesen, die also wussten, worum es ging, wenn Demokratie oder Rechtsstaat auf dem Spiel standen. Dass Ignacio dabei von der Revolte der rechten Falangisten und dem aufkommenden Bürgerkrieg zunächst wenig mitbekommt, ist bezeichnend für die Intensität, mit der er sich für seine eigenen Belange interessiert.

Was ist das für ein Mann, Ignacio Abel?

Als Judith wieder in die USA reist, nimmt Ignacio einen Lehrauftrag an einer Provinz-Uni nördlich von New York an, um ihr zu folgen. Er verlässt seine Familie. Das ist der Moment, in dem der Roman einsetzt. Die unausgesprochenen Wünsche, die Unsicherheit und das Zögern seines Helden verwebt Antonio Muñoz Molina eng mit der historischen Realität, und zwar so, dass uns außer der erzählten Geschichte der musikalisch rhythmisierte Erzählfluss selbst mitzieht. Nicht wie es ausgeht, wollen wir lesend erleben, sondern wie es weitergeht. Dass Ignacio sich schämt und doch wieder nicht schämt für seine Feigheit, für seinen Verrat an Frau und Kindern, ist das eine. Aber wie er das tut, das ist fesselnd..

Was uns erzählt wird, ist im Moment der Romanhandlung bereits geschehen und wird erinnert.

Es ist da noch mehr, was uns den Autor Muñoz Molina beim Lesen seines Romans gegenwärtig macht: Sein Erzähler wirft immer wieder einen Nebensatz ein, eine Vermutung, eine Idee zum Arrangement, mit dem er seine Romanhandlung voranbringt oder auf einen Umweg leitet. Muñoz Molina hat diese Stimme eingefügt, als wäre da noch ein weiterer Mensch im Bild, der den Betrachter ansieht und ihm zu verstehen gibt: Hier bin ich, und das hier ist eine Fiktion.

Was sind das für Hinweise auf den Erzähler? Schaffen die nicht auch Distanz zur Geschichte des Romans?

Muñoz Molina sieht in den 1930er Jahren den ästhetischen, politischen und kulturellen Anfang unserer eigenen Zeit. Darum hat er für die Arbeit an diesem Roman die Zeitungen und Tagebücher jener Zeit gelesen, Erinnerungsbücher dagegen nur mit Vorbehalt, denn wer seine Memoiren schreibt, weiß ja, was dann noch kommen wird, und erzählt darauf hin. Muñoz Molina lässt historische Personen wie Juan Negrín, den letzten Ministerpräsidenten der demokratischen Republik Spanien, auf fiktive Figuren wie jenen Professor Rossmann stoßen, einen früheren Lehrer Ignacios am Bauhaus. Rossmann ist für Muñoz Molina eine geradezu symbolische Gestalt, der Intellektuelle auf der Flucht, wie es ihn zu Zeiten der totalitären Regimes der 30er Jahre gegeben hat. Ignacio und Rossmann treffen sich in Madrid, Rossmann braucht Hilfe, er hat bereits durchgemacht, was auf viele Spanier erst zukommen wird. Darum versteht niemand so recht, was er zu sagen hat. Niemand hört hin, wenn er seine Erlebnisse in Hitlerdeutschland und in Stalins Russland erzählen will, wo Unterdrückung und Diktatur die Bürger das Fürchten lehren.

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ISBN: 978-3-421-04499-0
http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Nacht-der-Erinnerungen-Roman/Antonio-Munoz-Molina/e347734.rhd