, Jean Echenoz Laufen Berlin Verlag
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel

Bisher ist der französische Schriftsteller Jean Echenoz vor allem mit Romanen – reine Fiktion – hervorgetreten, die ihm in Frankreich die höchsten literarischen Ehren und Preise eingebracht haben. In Deutschland kommen seine Kunstwerke immer wieder schlecht an, weil ihm entweder verübelt wird, dass man die jeweilige Geschichte schon irgendwie mal woanders, wenn auch ganz anders, gelesen habe, oder weil dieser oder jener Kritiker meint, das sei zu wenig Handlung fürs Geld. Zum Glück ist das dem Romancier Echenoz ganz egal geblieben.
Jetzt ist ein Roman von ihm bei uns erschienen, der eine reale Person der Geschichte zum Helden hat: Den Rekord-Läufer Emil Zatopek, der in Zlin in Mähren aufwuchs und bei der Olympiade in Helsinki 1952 einige Goldmedaillen auf Langstrecke errang. Echenoz hat schon in seinem vorherigen Buch eine reale Person als literarischen Stoff eingesetzt, den Komponisten Maurice Ravel. Dass er jetzt ausgerechnet diesen einen tschechischen Sportler ausgesucht hat für sein neues Buch, ist allerdings erstaunlich für einen Schriftsteller, der >Literatur als Kunst< betreibt und betrachtet. Dessen Romane nicht von der Spannung ihrer Geschichte leben, der uns nicht auf Gedanken über uns selbst bringen will, der nicht irgendetwas festhalten will oder aufzeigen will. Jean Echenoz verwendet die Bausteine des literarischen Erzählens, um daran seine Kunst zu entfalten. Darum wird übrigens immer wieder vermutet, er lehne sich an bestimmte vorhandene Romane, Filme oder Genres an, z. B dass sein Roman „Je m’en vais“ eine Parodie von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ sei – auf Nachfrage hat er dann aber gesagt, den Roman kenne er gar nicht.

Warum ausgerechnet Emil Zatopek?

Aufschlussreich für das Verständnis von Echenoz’ Vorgehensweise ist sein Hinweis auf Marcel Schwobs „Vies imaginaires“, und dort steht in der Préface: „Leider haben sich die Biographen gemeinhin für Historiker gehalten. Und haben uns auf diese Weise großartige Portraits vorenthalten. Sie haben gemeint, uns könnte nur das Leben großer Leute interessieren. Der Kunst sind solche Gedankengänge fern. In den Augen des Malers hat Cranachs Portrait eines Unbekannten so viel Wert wie das von Eramus. Es ist nicht dank des Namens Erasmus, dass dies Portrait unnachahmlich ist. Die Kunst des Biographen wäre doch, dem Leben eines armen Schauspielers soviel Wert zu verleihen wie dem von Shakespeares. Es ist ein niedriger Beweggrund, der uns mit Vergnügen die Verkürzung des sternocleidomastoiden Muskels bei der Büste Alexanders, oder die Locke auf der Stirn im Portrait Napoleons bemerken lässt. … man muss doch nicht bis ins Kleinste die Größten ihrer Zeit beschreiben, oder die Eigenschaften der Berühmtesten der Vergangenheit, sondern mit derselben Sorgfalt einzigartige menschliche Existenzen beschreiben, seien göttlich, mittelmäßig oder verbrecherisch gewesen.“

Werden wir jetzt noch mehr solche Romane zu lesen bekommen, in denen Personen der Historie auftreten?

Es ist ein schmaler, feiner, witziger Roman geworden, der sicherlich nicht einfach zu übersetzen war. Denn Echenoz erlaubt sich sprachlich und grammatikalisch alles, Neologismen, Umgangssprache und umgangssprachlich gebrochene Syntax, die abkürzende Sprache jugendlicher Spontan-Unterhaltungen: Alles ist ihm recht als Mittel, seine Leser zu überraschen und, sie mit dieser Überraschung, der unerwarteten Wendung, zu amüsieren – sprachlich, inhaltlich, einfach so.
Wer seine Freude an schöner Literatur hat, der wird sie auch hier haben, wie bei der Mehrzahl von Echenoz’ Romanen.

ISBN-13: 9783827008633
http://www.berlinverlag.de/bucher/bucherDetails.asp?isbn=9783827008633