, Boualem Sansal Das Dorf des Deutschen Merlin

Zwei in Frankreich aufgewachsene junge Algerier erfahren, dass ihr Vater, ein in Algerien naturalisierter Deutscher, und ihre Mutter in ihrem Heimatdorf zusammen mit einer Anzahl anderer Dorfbewohner umgebracht worden sind – es ist die Zeit des algerischen Bürgerkriegs der 90er Jahre, als Islamisten, oder angeblich Islamisten, unter der Zivilbevölkerung Angst und Schrecken verbreiteten.

Der ältere der beiden Brüder entdeckt, dass ihr Vater, der sich im algerischen Unabhängigkeitskrieg verdient gemacht hat, dann als Hassan Hans Schiller die schöne Tochter des Dorfscheichs geheiratet hat und nach dessen Tod selbst zum weithin angesehenen Scheich geworden ist – dass also ihr Vater früher als Mitglied der Waffen-SS in Buchenwald, Dachau, Lublin-Majdanek tätig war.

In Frankreich hat dieser neue Roman von Boualem Sansal zu Beginn dieses Jahres eine heftige Debatte ausgelöst. "Le Village de l'Allemand – Das Dorf des Deutschen“ verbindet die Themen der Schoah, der Pariser Vorstadtrealität und der algerischen Zeitgeschichte. SS-Leute, Kriegsverbrecher, die in arabischen Ländern untergetaucht sind. Damit rührt Sansal an einen Punkt, an dem man in Deutschland sensibel ist.

Wundert Sie, dass in Deutschland noch mal ein ganz anderes Interesse an Ihrem Roman besteht?

Sansal baut seinen Roman auf die Ergebnisse von jahrelang geführten Recherchen, die ihren Anfang nahmen, als er zufällig in ein Dorf kam, wo es irgendwie anders war – ein Deutscher hatte dort das Heft in die Hand genommen „und sein eigenes kleines Drittes Reich errichtet“, wie Sansal es erzählt.

So, wie der ältere Bruder nicht zurechtkommt mit seiner Erkenntnis, einen Kriegsverbrecher zum Vater zu haben, und auf all den Fragen sitzen bleibt, die er gerne stellen würde, erinnert er an eine ganze Generation von Deutschen, die erst zu spät angefangen haben, die Eltern zu befragen.

Der jüngere der beiden Brüder geht damit anders um. Er will davon reden, er fühlt einen Drang, es der Welt zu erzählen und ist zugleich skeptisch, ob das was nützen wird. Weil er so unintellektuell und unmethodisch ist, hat er einen irgendwie amüsant zögerlichen Umgang mit den nachgelassenen Dokumenten seines Vaters und dem verzweifelten Tagebuch seines Bruders. Er schlägt sich nicht mehr mit den Verbrechen der 30er/40er Jahre, nicht mehr mit den antikolonialistischen und postkolonialistischen Theorien herum. Er ist gewissermaßen postmodern angelegt mit einer Haltung, wo Kultur, Freiheit, Rechte irgendwie marginal geworden sind.

Sansal erzählt nicht schnurgerade, sondern durch die Tagebücher, die die beiden Brüder jeweils geführt haben und die nun mit Hilfe einer Lehrerin zu einem Buch zusammengefügt sind. Eine Form der Manuskriptfiktion, mit der der Autor einen gewissen Abstand zu seinem Stoff oder zu dessen Art von Darstellung nimmt. Vielleicht eine Schutzmaßnahme. Denn Sansal ist für seine zeitkritisch angelegten Romane schon bedroht worden, und auch hier hält er nicht zurück damit.

Sein jugendlicher Held aus der Pariser Banlieue registriert genau, was um ihn herum vor sich geht, z. B. wie der Einfluss der Islamisten in Frankreich zunimmt und damit der Missbrauch der Religion für politische Zwecke und Macht-Gier. Er erkennt sogar einen beinahe geschlossenen historischen Bogen zwischen NS-Regime und Islamisten und vermutet dass die Islamisten sogar die Nazis noch übertreffen werden, sobald sie mal die Möglichkeiten dazu haben.

Das Buch, das nun aus den Tagebüchern entstanden ist, könnte aufgefasst werden als ein erster Schritt einer Diskussion.

Ist dieser Roman gedacht als Eröffnung eines Dialogs?

Wir gratulieren Boualem Sansal zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2011!

ISBN 3-87536-270-5
http://www.merlin-verlag.de/neu.htm